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Die Clintons und der Rassismus

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Von Scheinheiligkeit und exklusivem Feminismus

Wer die US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen ähnlich fasziniert mitverfolgt wie ich und sich alle Jahre wieder an gestelzten Interviews und melodramatischen Fernsehdebatten erfreut, hat wahrscheinlich auch mitbekommen, dass Hillary Clinton massiv gestärkt aus dem “Super Tuesday“ Anfang März herausging.
Vor dem Votum in Wyoming am 10. April hatte Clinton insgesamt 1298 Mandate, Sanders 1079. Auch bei den sogenannten Superdelegierten führt Clinton derzeit mit 469 zu 31 Delegierten. (Für die Nominierung zum offiziellen Kandidaten der Partei sind insgesamt 2383 Mandate erforderlich).

Dieser Vorsprung führte im Laufe des Wahlkampfs zu einer Welle an neugeschöpftem Enthusiasmus unter Clintons traditioneller Gefolgschaft. Während ich mich keinesfalls Sanders Milieu zugehörig fühle und unser selbsternannter Establishment-Kritiker Bernie seine ganz eigenen, sehr gravierenden Probleme mit Sexismus und vielem mehr hat, war ich dennoch ein wenig abgeschreckt von meinen feministischen weißen Fellows und der Fähigkeit, den Clinton-Rassismus mit Wohlwollen totzuschweigen (oder ihn schlichtweg zu übersehen, was auch nicht so geil ist).

Als Clinton im Jahr 2008 ihre Präsidentschaftskandidatur verkündete und mit Obama um die Nominierung der Demokraten ringen musste, wurde von Anfang an eine klare und vor allem klar rassistische Strategie gefahren; Obama sei nicht dazu in der Lage, die Herzen der demokratischen Wählerschaft zu erobern, weil weiße Wähler*innen nicht für einen schwarzen Präsidenten stimmen würden. Dies wurde von Teilen ihres Wahlkampfteams übrigens sowohl wörtlich als auch öffentlich geäußert, sie [die linksliberale Wählerschaft] sei schlichtweg “nicht bereit für Obama“.

Als Clinton im Jahr 2008 ihre Präsidentschaftskandidatur verkündete und mit Obama um die Nominierung der Demokraten ringen musste, wurde von Anfang an eine klare und vor allem klar rassistische Strategie gefahren.

Erstens ist die Aussage an sich ist schon unfassbar lächerlich; wenn Obama bereit war, mit dem geballten Rassismus einer Nation, die ihren Reichtum auf dem Rücken schwarzer Menschen erlangte, umzugehen, was sollte dann die linksliberale Gefolgschaft an der Wahl Obamas hindern? (Als wolle man die Eltern einer Kindergartengruppe davon überzeugen, ihre Schützlinge doch lieber erst im nächsten Jahr einzuschulen.)
Aber viel abstoßender ist der offene Rassismus, die Verharmlosung, sogar das Verständnis für eine Wählerschaft, die Obama natürlich gar nicht ernstnehmen könne, nicht ernstnehmen wolle, weil er als schwarzer Amerikaner einen Anspruch auf den Posten stelle, der über so viele Dekaden hinweg für weiße Menschen prä-reserviert war.

Hillarys treuen Unterstützer*innen ist hoffentlich auch in Erinnerung geblieben, wie Clintons Team 2008 ein Bild von Obama mit somalischer Kopfbedeckung verbreitete. Habt ihr euch je gewundert, worin die gesamte Obama-is-a-Muslim-Diskussion überhaupt gewurzelt hat? In exakt diesem Bild.
Das Foto zeigt Obama vor einigen Jahren auf einer Reise im Nordosten Kenias. Schlimm genug, dass eine Verknüpfung zum Islam als Manko angesehen und dementsprechend behandelt wird. Schlimmer noch, dass Obama in etlichen darauffolgenden Interviews beteuern musste, er sei “bekennender Christ“, um überhaupt eine Chance zu haben, den unfairen Vorsprung aufzuholen.

In meinen Augen stellt sie das US-amerikanische Pendant zu Kristina Schröder: Sehr weiß, sehr anpassungsfähig, sehr Ressentiments schürend.

Vielleicht erinnern wir uns auch noch daran, wie irgendwann ein besonders emsig suchender Patriot feststellte, dass Obamas ehemaliger Pastor in einer seiner Predigten einmal ein “God damn America“ von sich gegeben hatte. Als Antwort darauf sah Obama sich letztlich gezwungen, eine ausführliche, national übertragene Rede über Rassismus in den USA (und damit verknüpfter Unzufriedenheit) zu halten (sehr sehenswert, wenn auch gemäßigt). Clinton konnte natürlich und lächerlicherweise nicht anders, als bis zum Ende ihrer, letztlich scheiternden, Kampagne auf dieser “Denunzierung“ seitens des Pastors zu beharren, hoch lebe der US-Patriotismus.

Ich will nun keine fiesen Vergleiche ziehen, die unsere Clinton-Anhänger*innen ohnehin als übersteigert ansehen und ablehnen werden, allerdings stellt sie in meinen Augen das US-amerikanische Pendant zu Kristina Schröder: Sehr weiß, sehr anpassungsfähig, sehr Ressentiments schürend – und in etwa so links wie der gesellschaftliche Mainstream es gerade verlangt. Ihre plötzliche Emporhebung als Heldin der amerikanischen Linken übergeht in vielerlei Hinsicht vergangenen Sünden – frei nach dem Sprichwort Out of sight, out of mind darf Clinton dank ihrer treuen Fans einen barmherzigen Neuanfang beginnen, wobei eben jene vergesslichen Fans nie eine Chance verpassen, auf Hillarys beachtliche Erfahrungen und ihre Fortschritte bezüglich ihres “Rassismusproblems“ anzuspielen. Ich frage mich häufig: Worin äußern sich diese Fortschritte? Ich konnte sie bisher nicht erkennen, aber vielleicht leiht mir ja jemand den notwendigen Detektor.

Solidaritätbekundungen mit der Black Lives Matter Bewegung waren längst überfällig und kamen dennoch zu spät.

Dieser Verriss wäre leider nicht vollständig, wenn wir über die Tatsache hinwegschweigen würden, wie sehr sich die Zahl der Gefängnisstrafen zur Clinton-Ära vervielfacht hat. Einigen ist wahrscheinlich die rassistischen Gefängnis-Politik in den USA bekannt, die von vielen schwarzen Aktivist*innen als modernes Nachfolgesystem des nordamerikanischen Sklav*innenhandels angesehen wird und letztlich der langen Tradition nachgeht, sich an kostenloser Arbeitskraft von People of Color, insbesondere schwarzen Menschen zu bereichern. Bill Clintons “incarceration policies“ wurden von seiner rechten Hand mitgetragen und sind bis heute nicht aufgearbeitet. Nicht umsonst ist das Verhältnis zwischen den Clintons und der aktivistischen Afro-Amerikanischen Community angespannt  – Solidaritätbekundungen mit der Black Lives Matter Bewegung waren längst überfällig und kamen dennoch zu spät. Und wo wir schon dabei sind – können wir endlich die sich überhäufenden Wahlkampfgelder der Gefängnis-Lobby an Hillary Clinton evaluieren? Es ist an der Zeit, über valide Kritik zu sprechen, die Communities of Color seit Beginn des Wahlkampfs an Clinton äußern.

Statt sich mit den PoCs zu solidarisieren, fuhr Clinton ihre gewöhnliche reformerische Versöhnungsrhetorik (aka “we are all Americans“).

Was mich aktuell besonders enttäuscht hat, war Clintons verharmlosendes Statement zu den Protesten Mitte letzten Monats; Trump musste im März seine Rally in Chicago absagen, weil es zu weitreichenden gewaltsamen Protesten von hauptsächlich People of Color gekommen war, die zu verhindern versuchten, den bekennenden KKK-Sympathisanten durch ihre Stadt laufen zu sehen. Statt sich mit den PoCs zu solidarisieren, fuhr Clinton ihre gewöhnliche reformerische Versöhnungsrhetorik (aka “we are all Americans“). Ihre Pressemitteilung wurde von Afro-Amerikanischen Gruppierungen in aller Deutlichkeit als relativierend bezeichnend. Well done.

Interessant fand ich auch einen kürzlich entdeckten Videoclip, etwa sechs Jahre alt, in dem Clinton davon spricht, dass die Opfer des afrikanischen Kolonialismus endlich mal aufhören sollen, auf dem, was vor “hundert, zweihundert Jahren“ geschah, herumzureiten. Ach Hillary, ich könnte dir so vieles über systematischen Rassismus und seine Auswirkungen auf gegenwärtige Verhältnisse erzählen. Ich könnte dir ein Lied von Ausbeutung, Identitätsverlust und immer währenden Traumata singen, das Lied hieße dann wahrscheinlich “Die Etablierung der White Supremacy durch den Kolonialismus“. Aber rede du ruhig weiter, du bekennende Antirassistin.

Pauschal “Sexismus“ zu schreien, wenn berechtigte Kritik an ihrer rassistischen Historie geäußert wird, kann nicht in eurem Sinne sein.

Zu häufig wird behauptet, Besitzer*innen kritischer Stimmen gegen Hillary hätten grundsätzlich eine Aversion gegen Frauen in der Politik. Dies mag in manchen Kontexten sicherlich stimmen, Sexismus und Politik sind, das sollte uns allen wohl bewusst sein, lange tradiert und es ist in keinster Weise meine Intention, den Sexismus, der Clinton zu genüge in diesem Wahlkampf begegnet, zu relativieren. Bernie-Euphoriker (vor allem die sogenannten Bernie-Bros) haben in den letzten Monaten eine stark sexisitische Kampagnen gefahren (“Bern-the-Witch“ als Motivationsmantra sagt alles) und sich damit längst disqualifiziert. Dieses Argument jedoch auf standfeste Kritik seitens marginalisierter (häufig intersektional-aktivistischer) Gruppen anzuwenden, ist über die Maße absurd und erfüllt letztlich nur den Zweck, jene Gruppen zum Verstummen zu bringen. Pauschal “Sexismus“ zu schreien, wenn berechtigte Kritik an ihrer rassistischen Historie geäußert wird, kann nicht in eurem Sinne sein.

Hillary ist und bleibt für viele Vetreterin der privilegierten,  weißen Wählerschaft.

Hillary ist und bleibt für viele Vetreterin der privilegierten, in der politischen Mitte situierten (oder im besten Fall linksliberalen, was auch immer das sein soll) weißen Wählerschaft. Ihre politische Historie und das Desinteresse an institutionellen Rassismen in den USA und ihre mehr als hypokritische Position bezüglich sogenannter “racial minorities“ sind definitiv nicht aufzuwiegen mit der Tatsache, dass sie als einzige (weiße) Frau ins Rennen geht. Es gilt wie immer: Entweder eurer Feminismus inkludiert bedingungslos antirassistische Kämpfe oder ihr könnt ihn für euch behalten.


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