Es gab so vieles, das mich in letzter Zeit aufgeregt hat, dass ich gar nicht so genau weiß, wo ich anfangen soll. Vielleicht beim medialen Aufschwung, den Pegida erneut erlebt hat. Vielleicht bei den Distanzierungsforderungen von Kretschmann. Vielleicht bei den Pseudo-Toleranten, die nach dem grausamen Attentat in Paris widerliche, islamfeindliche Karikaturen in unsere Timelines gespült haben (in meine jedenfalls). Vielleicht auch bei den vielen Nicht-Betroffenen, die glauben, mir meine Religion erklären zu müssen. Was alle diese Menschen gemeinsam haben: Sie müssen sich keine diffamierenden Kommentare anhören, sie müssen nicht mit der alltäglichen Diskriminierung leben, sie brauchen keine Angst vor dem immer weiter aufkeimenden Hass zu haben. Sie können Laptop, Macbook, ihr Smart- oder iPhone ausschalten und sich zurücklehnen. Wer es seinen*ihren muslimischen Mitbürger*innen, Nachbar*innen or whatever in diesen Zeiten leichter machen möchte, kann diese Anleitung überfliegen. Bedenkt: Nichts von dem, was ich schreibe, ist allgemeingültig.
1. Was andere tun, liegt nicht in meiner Verantwortung.
Ernsthaft, hört auf, uns unter Generalverdacht zu stellen. Wenn Fundamentalist*innen Anschläge ausüben, habe ich, oh Wunder, keinen Einfluss darauf. Ich bin nicht dafür verantwortlich, was die restlichen 1,6 Mrd Gläubigen machen, die sich nun mal zufällig auf dieselbe Religion berufen. Selbstverständlich respektiere ich die Entscheidung all derer Muslim*innen, die sich zu den Anschlägen in Paris etc. schließlich doch distanzierend geäußert haben. Als weiße oder grundsätzlich nicht von (antimuslimischem) Rassismus betroffene Person hast du trotzdem nicht das Recht, in irgendeiner Weise irgendeinen Imperativ zu äußern. Deal with it. Ich könnte jetzt ein paar unschöne Details über verschiedenste, unter christlichem Deckmantel vollzogene Gräueltaten benennen, von denen du dich nach dieser Logik in einer Tour distanzieren müsstest, Kretschmann. Lass gut sein.
2. Frag-den-Muslim-Talkshow-Runde.
Weil ich unmittelbar von Pegidas Hassbotschaften betroffen bin, bedeutet das nicht, dass ich auch per se darüber sprechen möchte. Zu wissen, dass es Bürger*innen gibt, viele Bürger*innen, die dich, gelinde ausgedrückt, nicht als Teil der Gesellschaft anerkennen, ist eine schmerzliche Erkenntnis. Ich möchte nicht permanent daran erinnert werden. Vielleicht gilt das nur für meine Wenigkeit. Aber weil ich Muslim*in bin, heißt das nicht, dass du mich jetzt auslöchern kannst oder solltest. Wenn ich darüber reden will, dann merkst du das schon.
3. Wir machen jetzt mal was zu Islamhass. Und laden nur Nicht-Muslim*innen ein.
Denken sich 99,9% aller Polit-Talks im Öffentlich-Rechtlichen. Und so ziemlich alle anderen. Wieso musste ich es in letzter Zeit sooft erleben, dass über Pegida und co, über Islamfeindlichkeit etc. gesprochen wurde, ohne Muslim*innen einzubinden? Und das steht ganz und gar nicht im Widerspruch zu 2). Zwischen Auslöchern und Miteinbeziehen liegen Welten. Ich will nicht sagen, dass antirassistischer Aktivismus nur von Betroffenen ausgehen sollte, eine solche Aussage wäre vollkommen unsinnig, weil Solidarität unabdingbar zu einer inklusiven Gesellschaft gehört und Aktivismus, gerade von Nicht-Betroffenen-Seite, wichtiger ist denn je. Allerdings hilft man Betroffenen am besten, wenn man mit ihnen spricht und nicht über sie. Knüpft sehr stark an 4) an. Wir alle erinnern uns übrigens noch an die ARD-Toleranz-Woche. Großer Erfolg *räusper*.
4. No, no, no, let me explain that to you.
Meine Lieblingskategorie: Weiße*r Cis-Mann/Frau erklärt mir, wie das so funktioniert im Islam. Und dann die ganzen Blogeinträge, mein lieber Scholli. Seien wir ehrlich: Wie intensiv hast du dich bisher mit “dem Islam“ beschäftigt? Also wirklich beschäftigt? Nein, die zwei FAZ-Artikel und der letzte Spiegel-Beitrag genügen leider nicht. Ein Phänomen, das besonders in meiner linken Filterbubble immer populärer wird: Halbwissen verbreitende Blogartikel von weißen, als nicht-muslimisch-gelableten Menschen, die durchanalysieren, inwiefern Gewalt im Koran legitmiert ist (oder eine ähnlich komplexe Frage behandeln). Hauptsache irgendwas mit “Koran“ und “(Un)vereinbarkeit“. An alle Menschen, die diese Blogartikel schreiben und/oder teilen: Nein, einfach nein. Ich meine, ihr könnt das schon so machen, nennt sich halt Meinungsfreiheit (wo wir wieder beim Thema wären), aber das ist dann eben trotzdem der größte Unsinn. Und übrigens: Ein Master in Islamwissenschaften macht die Sache auch nicht besser. Besonders wichtig: Weil du dir selbst das Attribut links zuschreibst, verfügst du über keinen Freischein zum Selbstgespräche-führen-ohne-Ende-und-Betroffene-wie-immer-außer-Acht-lassen. Wenn du wirklich helfen möchtest, musst du auch zuhören und deine eigenen Privilegien sinnvoll reflektieren können (die schon wieder mit ihren Privilegien, pffff…). Du diskutierst vielleicht gerade über das Thema, weil es dich interessiert – ich tue es, weil es meinen Lebensalltag bestimmt. Ich werde als Muslimin statistisch gesehen mal größere Schwierigkeiten haben, einen Job zu finden – du kriegst vielleicht eine Festanstellung als Expert*in, der*die sich mit genau solchen Problemen auseinandersetzt.